Warum Güter auf die Schiene gehören – und wie das auch innerstädtisch weiterhilft

Gleisanschluss im Industriegebiet
Nicht abschreiben! Die Bahninfrastruktur in der Stadt wird noch gebraucht. Foto: regioconsult.

von Robert Radloff

Der Großteil des städtischen Güterverkehrs läuft heute per LKW über zunehmend verstopfte Straßen. Dies betrifft den Frachtverkehr von Produktionsbetrieben, Logistikketten großer Dienstleister oder die Anlieferung von Waren des Groß- und Einzelhandels. Gleichzeitig wird das ausgedehnte Netz der Industrie- und Anschlussgleise in Berlin nur wenig genutzt. Auch das Tram-Netz wird nicht für die Stadtlogistik eingesetzt. Eine ungenutzte Chance?

Könnten über Güter- und Tramgleise urbane Gewerbestandorte zukünftig stadtverträglich versorgt werden? Wir werfen einen Blick auf die ungenutzten Potenziale des schienengebundenen Wirtschaftsverkehrs in Berlin.

Modulare Ladeeinheiten für flexiblere Güterzüge

Die Stärke des Schienengüterverkehrs ist der kostengünstige und umweltschonende Transport großer Frachtmengen über weite Entfernungen. Das Transportvolumen von Güterwaggons erscheint für den Einsatz in der Stadt jedoch zu massiv und unflexibel. Doch die Entwicklung modularer Ladeeinheiten und digitaler automatischer Kupplungen könnten diese Beschränkungen auflösen. Ein Gemeinschaftsprojekt der Firma VTG und DB Cargo AG zielt auf den Einsatz multifunktionaler Tragwagen, die je nach Bedürfnis unterschiedlich zusammengestellt werden können.

BVG und Onomotion: Die Cargo-Tram

Die Berliner BVG ist da schon einen Schritt weiter: Ein gemeinsamer Testversuch mit dem Berliner Start-up-Unternehmen Onomotion könnte die Grenzen des Wirtschaftsverkehrs in Berlin neu definieren. Geplant ist eine Mischnutzung der Straßenbahn, bei der Gütermodule mit einem Volumen von 2,1 Kubikmetern und der Breite einer EU-Palette, in die tiefgelegenen Niederflurwagen der Tram geladen werden. In Tagesrandzeiten mit geringem Fahrgastaufkommen könnte das Straßenbahnnetz auf diese Weise eine effiziente Alternative für die Logistik innerstädtischer Gewerbestandorte und Einzelhandelsgeschäfte darstellen. 

Gleisanschlüsse für Berliner Gewerbestandorte

kartographische Darstellung der potenziellen Abdeckung von Industrie- und Gewerbestandorten durch das bestehende Schienennetz (+ eine moderne letzte-Meile-Logistik)
Das unerschlossene Potenzial des Wirtschaftsverkehrs auf Schienen in Berlin

Neben der Technik braucht es das Netz: Heute ist der Bestand an Gleisanschlüssen und Ladestellen für den schienengebundenen Güterverkehr in der Hauptstadt gering. Unsere Karte zeigt: Nur 33 Verladepunkte gibt es über das Berliner Stadtgebiet verteilt, die zum Teil aber auch nur einzelne Unternehmen bedienen.

Dabei liegt das nächste Gleis nie fern: Die Analyse zeigt die Bereiche, die sich in einer Entfernung von bis zu 500m zum nächsten Gleis befinden (oder bis zu 250m zum nächsten Tram-Gleis). Die so abgedeckte Fläche umfasst mehr als die Hälfte – genauer: 57 % – der FNP-Gewerbe- und Industrieflächen in Berlin!

Natürlich wird nicht jeder Gleisabschnitt auf unserer Karte für einen Verladepunkt geeignet sein. Aber in Kombination mit einer intelligenten letzte-Meile-Logistik ist eine vergleichbare Abdeckung wie hier dargestellt durchaus vorstellbar.

Die Zukunft nicht verbauen

Zukunftsmusik? Vielleicht – aber die sprichwörtlichen „Weichen“ für eine solche Logistiklösung müssen heute gestellt werden.

Ein Beispiel: Die Zehlendorfer Eisenbahn, auch Goerzbahn genannt, verläuft vom S-Bahnhof Zehlendorf bis zum ehemaligen Bahnhof Schönow vor den Toren des Gewerbestandorts Goerzallee. Um die Option einer (derzeit noch unrentablen) zukünftigen Reaktivierung zu erhalten, empfehlen wir dem Bezirk in unserem aktuellen Konzept „Zukunft Gewerbestandort Goerzallee-Beeskowdamm“ die Gleise und Bahnflächen zu sichern und langfristig zu erhalten.

Derzeit nur Museumsbetrieb: Die Goerzbahn nahe dem Gewerbestandort Goerzallee-Beeskowdamm in Steglitz-Zehlendorf. Foto: regioconsult.

Berliner Mobilitätsgesetz zum Wirtschaftsverkehr

Unterdessen geht der Kampf um die Straße weiter. Der noch in Ausarbeitung befindliche fünfte Abschnitt des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobGE BE) sieht einen Vorrang des Wirtschaftsverkehrs vor. Bestimmte Straßenkorridore sollen zukünftig den Schwerlastverkehr aufnehmen. Gleichzeitig stößt der Ausbau der Straßen – beispielsweise der Tangentialverbindung Ost oder ganz aktuell der A100 auf immer größeren Widerstand und rückt in weite Ferne.

Zeit zum Umdenken?

Über den Autor: Robert Radloff ist derzeit als Praktikant bei regioconsult tätig. Er studiert Humangeographie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Neben dem Thema Mobilität arbeitet er bei uns auch zu Industrie- und Gewerbestandorten in der Region Berlin-Brandenburg. Sie erreichen ihn unter buero@regioconsult-berlin.de